Freitag, 27. Januar 2017

Rütteln am Tor

Der Kitt der Sekten

Gerhard Schröder hat am Tor des Kanzleramtes gerüttelt, bevor er hineinkam. So mancher Sektenkritiker dagegen rüttelt am Tor, weil er nicht weiß, ob er (wieder) hinein oder (endlich wirklich) heraus will. Das ist an sich schon kurios genug, doch noch kurioser wird es, wenn ehemalige Mitglieder einer Sekte sich darüber beschweren, dass einiges nicht mehr so ist wie es einmal war.

Bisher ist mir kein gut bezahlter Sekten-Kritiker bekannt, der schlüssig erklären kann, wie man eigentlich in die Abhängigkeit von einer solchen Gruppe geraten kann. Dabei scheint mir das Prinzip relativ einfach zu sein. Es muss sogar einfach sein. Was also ist der Kitt dieser Gemeinschaften, die eigentlich gar keine sind, weil sie eher einen Zusammenschluss von Egoisten darstellen, die sich zusammentun und so den Egoismus potenzieren?

Eine Sekte muss einen Weg zum absoluten Glück vorgaukeln. Damit das gelingen kann, muss derjenige, der diesen Weg angeblich vorgibt, sich jeder Kontrolle entziehen. Dennoch darf niemand daran zweifeln, dass es dieses Wesen gibt. Die Führer der Gruppe müssen zumindest den Eindruck erwecken, als kennten sie selbst solche Zweifel auch gar nicht, das Wesen aber bestens oder besser als die meisten.

Folgt die Wegbeschreibung: Sogar wenn zwei oder mehr Gruppen dasselbe Ziel verfolgen, unterscheiden sich die Wegbeschreibungen. So ist es beispielsweise bei den Zeugen Jehovas und der Neuapostolischen Kirche. Beide Gemeinschaften behaupten von sich, dass ihre Mitglieder zukünftige von einem unbekannten Wesen ausgelöste Katastrophen schadlos überstehen werden und fortan Gewinnerinnen und Gewinner in alle Ewigkeit sind. Gesund, friedlich, glücklich, nie schlecht gelaunt. Bei den Zeugen Jehovas muss man dafür Bibeltexte pauken, die von der Führung interpretiert werden, in der Neuapostolischen Kirche muss man die Bibel nicht einmal kennen, wenn man nur davon überzeugt ist, dass die Chefs sagen, was in der Bibel steht.

Da aber alles nur menschlicher Überzeugung entspringt, sind Irrtümer unausweichlich. Wird aber jeder Irrtum damit erklärt, dass es eine Meinungsänderung des unbekannten Wesens gibt, dann mag das einige aus der Sekte treiben, dann mag die Mitgliederzahl sinken, der harte Kern jedoch bleibt oder wird im Laufe der Zeit von einem anderen harten Kern ersetzt.

Warum? Weil Zweifel und eigenes Nachdenken mit der Gefahr der Strafe belegt sind. Wer sich diesen Luxus erlaubt, muss eben damit rechnen, dass er im nächsten Leben schlimmstenfalls auf jeden Luxus verzichten muss. So wie man sich als Tourist bei einer Wattwanderung tunlichst an die Anweisungen der Führer halten sollte, so hat man sich an die Anweisungen der Sektenführer zu halten, wobei der Unterschied darin besteht: Wandert man auf eigene Gefahr durch das Watt, kann Lebensgefahr bestehen, in Sekten besteht angeblich immer Lebensgefahr, und zwar im doppelten Sinne des Wortes. Gefahr für dieses und Gefahr für das nächste Leben, von dem ebenfalls jeder so viel weiß wie über das Wesen, das angeblich die Richtung vorgibt.

Je mehr es einer Sekte gelingt, dass sich die Mitglieder selbst kontrollieren, desto länger besteht sie. Keine existiert für immer. Einige verändern sich im Laufe der Zeit auch so, dass man sie irgendwann nicht wiedererkennt, man erkennt aber hoffentlich eins: Das Prinzip hat sich nicht verändert.

Hinweise auf früher Gesagtes oder Behauptetes bringen da gar nichts. Nur eins bringt etwas: Der Selbstkontrolle aus purem Egoismus immer und überall entsagen und zu sich als soziales Wesen ja sagen.

Das könnte ziemlich einfach sein: Wenn zum Beispiel die Zeugen Jehovas es schaffen können, dass sich die Mitglieder selbst vieles verbieten und jeden verfolgen, der behauptet, den Mitgliedern werde etwas verboten (mit dieser Taktik gewinnt diese Sekte so manchen Prozess), dann müsste sich doch eigentlich jedes Mitglied sagen: "Ich mache jetzt mein Ding. Gehe ich zu einer Party ist das doch nach Ansicht meiner Sektenchefs genauso falsch als wenn ich nicht hingehe."

Wenn es da nicht dieses Wesen gäbe, das angeblich nur mit ganz Wenigen spricht...und den Rest, der darauf warten muss, dass die ganz Wenigen das Licht anmachen, im Dunkeln tappen lässt. So wird es allerdings oft nicht hell und wenn, dann erkennt man nichts, weil die eigene Erkenntnis von der Erkenntnis der Chefs abhängt. 




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