Mittwoch, 18. Dezember 2019

Aufgelesen 2019 (II)

Colonia-Dignidad-Opfer sind empört

Der frühere Arzt der Sekte "Colonia Dignidad", Hartmut Hopp, muss nicht ins Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft Krefeld stellte das Verfahren gegen den Mediziner ein. Vertreter der Opfer sind fassungslos und protestieren.

Deutsche Welle, 7. Mai 2019

Die Zeit der Demut ist vorbei

Die Frauen von „Maria 2.0“ erstaunen. Genauso sehr erstaunt die Kirche, mit der die Frauen und wenigen Männer in Münster und anderswo ringen. Über hundert Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechtes ist Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der katholischen Kirche noch keine Realität. Stattdessen ist Gleichberechtigung in der Kirche eine Frage, über die man ernsthaft diskutieren muss und die viele Hierarchen lieber gar nicht anfassen wollen.

Deutschlandfunk, 12. Mai 2019

Colonia Dignidad: Zum ersten Mal Entschädigungen

Opfer der früheren deutschen Sektensiedlung „Colonia Dignidad“ in Chile sollen erstmals finanzielle Unterstützung bekommen. Bis zu 10 000 Euro pro Person seien vorgesehen, teilte Staatssekretär Niels Annen am Freitag in Berlin mit. Dabei seien rechtskräftig verurteilte Straftäter sowie herausgehobene Führungspersonen von den Hilfen ausgeschlossen. Das Konzept wurde von der gemeinsamen Kommission aus Bundestag und Bundesregierung ausgearbeitet. Man gehe von einem Hilfsvolumen von rund 3,5 Millionen Euro bis 2024 aus.

Nordwest-Zeitung, 17. Mai 2019

Kritik an katholischen Bischöfen


Der Leiter der Studie über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche, Dreßing, hat die Aufarbeitungsbemühungen der deutschen Bischöfe kritisiert. Man könne bisher keine gemeinsame Strategie erkennen, weitere Forschungsarbeiten in Gang zu setzen.
Das sagte Dreßing der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Eine Priorisierung von Zielen zur Verhinderung von Missbrauch finde nicht statt. Stattdessen gebe es immer wieder neue Gesprächskreise und Workshops. Der Schritt, mit dem eine Aufarbeitung beginnen könnte, wäre eine überregionale Untersuchung, an der Betroffene, Wissenschaftler, Vertreter der Kirche und der Zivilgesellschaft beteiligt sein sollten.

Deutschlandradio, 19. Mai 2019

Die Macht der Gurus

Seit 1984 berät Diplom-Psychologe Dieter Rohmann Aussteiger aus Kulten, esoterischen Gruppierungen und Sekten. Im Interview sprach er über seine Arbeit und verriet, wie die Gründer von Gruppen mit wenig Aufwand viel Macht entwickeln können.

Volksstimme, 31. Mai 2019

Zu Besuch im Land des Sektengründers

Viele von ihnen sind zum ersten Mal in Deutschland. Der Besuch löst starke Gefühle aus: Es ist das Land, in dem alles begann, das Land, aus dem der Sekten-Gründer Paul Schäfer 1961 vor Missbrauchsvorwürfen nach Chile floh, um dort in einer abgelegenen Gegend zusammen mit seinen Anhängern eine totalitär-religiöse Gemeinschaft zu gründen, die Colonia Dignidad.
Für die Opfer der deutschen Sekten-Siedlung in Chile ist Deutschland auch das Land, das jahrzehntelang nicht auf Hinweise reagierte, dass an diesem Ort schreckliche Verbrechen begangen wurden. Viele der ehemaligen Vertrauten von Paul Schäfer, die von der chilenischen Justiz verurteilt wurden, leben straffrei und unbehelligt in Deutschland, darunter der Arzt der Sektengemeinschaft, Hartmut Hopp.
Deutsche Welle, 4. Juni 2019

Neuapostolische Kirche: Beten und vertuschen

Der Opa missbrauchte seine beiden kleinen Enkelinnen. Als die Familie und die Kirche des Laienpriesters davon erfuhren, wurde gebetet. 16 Jahre später verurteilen Aachener Richter den 75-Jährigen zu einer Haftstrafe.
Ein 75 Jahre alter früherer Laienpriester der neuapostolischen Kirche ist für den sexuellen Missbrauch an seinen beiden Enkelinnen zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. 16 Jahre nach der letzten Tat sprachen die Richter den Mann des sexuellen Missbrauchs in den vier Fällen, die er eingestanden hatte, schuldig. Sie ließen Revision zu.

Focus, 14. Juni 2019

Das Kartell der Mitwisser
Ein Aachener Gericht hat einen 75-Jährigen wegen vierfachen Kindesmissbrauchs zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. 69 ebenfalls angeklagte Fälle waren ihm nicht mehr nachzuweisen. Denn die Vertuschung gelang jahrelang. Zum Kartell der Mitwisser gehörten der Vater der Kinder, der bei der Polizei arbeitet, der Onkel, ein angehender Arzt und die Neuapostolische Kirche, eine Glaubensgemeinschaft, die um 1896 entstanden ist, und vielen als harmlos gilt.
Hier weiterlesen 15. Juni 2019

Segensgebet für Sebastian Kurz

„Gott, wir danken dir so sehr für diesen Mann. Für die Weisheit, die du ihm gegeben hast. Für das Herz, das du ihm für dein Volk gegeben hast“, sagte der aus Australien stammende Leiter der „Awakening“-Bewegung unter anderem. Fitzgerald ist nach eigenen Angaben davon überzeugt, „dass die Zukunft der Nationen von Europa durch radikal Glaubende verändert wird, die frei leben und Jesus mutig bekannt machen“.

ORF, 17. Juni 2019

Auf der Flucht vor einer Sekte

„Mea Culpa – Im Herzen der Dunkelheit“, das neue Buch von Silvia Maria de Jongs (alias Silvia Stede aus Haßbergen) ist vor wenigen Tagen erschienen, gedruckt im Masou-Verlag. Es handelt von der jungen Mutter Johanna, die mit ihrem fünfjährigen Sohn auf der Flucht vor der Sekte ist, in der sie seit ihrem neunten Lebensjahr quasi gefangen gehalten wurde. Und von Kjell, der auf Sylt lebt und als verdeckter Ermittler gearbeitet hat – bis bei einem missglückten Einsatz seine Ehefrau und Tochter starben.
Eine durchaus spannende Geschichte hat die Haßbergerin da zu Papier gebracht. Sie beruht auf persönlichen Erinnerungen an ihre eigene beste Freundin aus Jugendtagen, die sich im Alter von 20 Jahren einer extrem religiösen Gruppierung anschloss und schließlich den Kontakt zu allem – und nach zehn Jahren auch zu Silvia Stede – abbrach. „Noch heute, 27 Jahre später, träume ich von ihr und frage mich, wie es ihr gehen mag“, schreibt die Autorin in ihrem Nachwort.

Die Harke, 29. Juni 2019

Zeugen Jehovas: Strafanzeige wegen Prozessbetruges

Wie der Südwestrundfunk (SWR) am Dienstag berichtete, wirft die Organisation "Jehovah's Witnesses Opfer Hilfe" Verantwortlichen der Religionsgemeinschaft Prozessbetrug vor. Bei den betreffenden Gerichtsverfahren war es um die Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts gegangen.

Domradio, 3. Juli 2019

Verführung und Hirnwäsche

Heute warnt der 57-Jährige selbst vor Verführung und Hirnwäsche, von Esoterik bis IS, und oft im Duo mit dem prominenten Sektenkenner Steve Hassan. Der ist ebenfalls anwesend und sagt, bevor wir den Raum betreten: „Wir sind an einem historischen Punkt, wo alte Ordnungen zerbrechen und wir offener sind denn je für Menschen, die uns Lösungen versprechen.“

taz, 7. Juli 2019

Deal mit Zeugen Jehovas
Dazu gab es eine Befragung in Krankenhäusern: Was tun, wenn ein Zeuge Jehovas auf dem OP-Tisch liegt oder Erste Hilfe benötigt? Die meisten befragten Chefärzte hätten einen Deal ausgehandelt.
„Sie sagen nämlich im Vieraugengespräch mit dem Patienten: Ich verabreiche Ihnen eine Blutkonserve, sonst würden Sie sterben, aber ich sichere Ihnen zu, dass außer uns beiden niemand davon erfährt.“
Deutschlandfunk, 10. Juli 2019

Lehre der Irvingianer trefflich beleuchtet

Vorausgegangen war Frommels Vortrag eine Predigt des Stadtkirchenpastors Hermann Steinmetz, der 1860 als zweiter Diakon nach Celle versetzt worden war. In seiner Predigt hatte er laut Frommel „ausschließlich die Lehre der Irvingianer von der Wiederkunft Christi angegriffen und trefflich aus der Schrift beleuchtet“ (S. 4). Anscheinend haben den Stadtkirchenpastor dazu konkrete Ereignisse in Celle veranlasst. Wenn kurz darauf der lutherische Generalsuperintendent im Rathaus über die Irvingianer referierte und vor dieser „Sekte“ warnte, ist davon auszugehen, dass Anhänger dieser christlichen Gemeinschaft in Celle Präsenz gezeigt haben. Tatsächlich wird die Existenz der Irvingianer durch Archivalien im Celler Stadtarchiv der Jahre 1889 und 1890 belegt.

Cellesche Zeitung, 15. Juli 2019

P.S. "Irvingianer" war der Spitzname eines Vorläufers der heutigen Neuapostolischen Kirche

In Modeladen gelockt

Der Verfassungsschutz Bayern warnt vor einer neuen Scientology-Ausstellung im Münchner Glockenbachviertel. Die Sekte tritt im Szenebezirk mit ihrer Tarnorganisation "KVPM" auf und versucht, Passanten in die Räume eines ehemaligen Mode-Ladens zu locken. Dazu benutzen die Scientologen Informationen über den angeblichen Missbrauch von Kindern in der Psychiatrie. Ein Sprecher des Verfassungsschutzes in Bayern sagte gegenüber "watson": "Wir können nur davor warnen, sich in irgendeiner Form auf die Versuche der Sekte einzulassen, Kontakt aufzunehmen."

Focus, 24. Juli 2019

Neues Buch über Zeugen Jehovas

Der endgültige Bruch kam, als sie öffentlich bereuen sollte, unehelich schwanger geworden zu sein. Das konnte sie nicht. "Soll ich etwa mein Baby bereuen?", fragte sie damals, mit Anfang 20, in die Runde der Ältesten. "Das war wohl die falsche Antwort", erzählt Anca E. Wimmer heute. Sie lacht, wenn sie jetzt davon erzählt, damals aber bedeutete diese Antwort der Bruch mit ihrer Familie, mit ihren Freunden, mit ihrem ganzen Sein bei den Zeugen Jehovas. Die junge Frau wurde aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Fortan durfte keiner mehr mit ihr reden. "Im Prinzip bin ich für die tot."

Alt-Neuöttinger Zeitung, 31. Juli 2019

Gedenktag für Opfer der Zeugen Jehovas

Deshalb gilt der 26. Juli, Bezug nehmend auf den Tag der Gründung der Zeugen Jehovas, als «Wachtturm-Opfer-Gedenktag». Christian Rossi: «Auf diesem Weg soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass es in unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft eine religiöse Organisation gibt, die ihre Mitglieder dazu nötigt, jeglichen Kontakt zu ehemaligen Mitgliedern abzubrechen.» Mit zuweilen fatalen Folgen, wie die Erfahrung von infoSekta zeigt. 

Luzerner Zeitung, 1. August 2019

Ältester der Zeugen Jehovas missbraucht Mädchen

Er war bei den Zeugen Jehovas im Ältestenrat und hat immer wieder Kinder und Jugendliche bei sich und seiner Frau in Reutlingen beherbergt. Von der Staatsanwaltschaft wurde dem 35-Jährigen nun vorgeworfen, dass er im Zeitraum zwischen 2013 und 2016 zwei Mädchen, zu Beginn beide 14 Jahre alt, 57 mal mit sexuellen Übergriffen belästigt hat. Dreimal soll er zudem an einem widerstandsunfähigen Mädchen schweren sexuellen Missbrauch begangen haben, wie Oberstaatsanwalt Dr. Thomas Trück am gestrigen Mittwoch vor dem Landgericht Tübingen verlas.

Südwestpresse, 7. August 2019

Zeugen Jehovas: Immer mehr Opfer melden sich

„Reclaimed Voices“ wurde vor einigen Monaten in Belgien ins Leben gerufen, nachdem die Zeitungen „Le Soir“ und „De Morgen“ über Fälle sexuellen Missbrauchs in Reihen der Zeugen Jehovas berichtet hatten. „Reclaimed Voices“ arbeitet mit dem Informationszentrum für Sektenforschung zusammen. Dank dieser Zusammenarbeit konnten bislang 90 Opfer ausgemacht werden, die in Reihen der Zeugen Jehovas sexuell missbraucht worden sind.

Grenzecho, 10. August 2019

Falsche Vorzeichen bei "Shinchonji"

Die Sekten-Info NRW kritisiert, dass die Gruppe unter falschen Vorzeichen missioniere. Betroffene wissen demnach nicht, mit wem sie es zu tun haben. Denn der Name "Shinchonji" fällt erst im zweiten Bibelkurs, also nach bis zu sechs Monaten. Auf Nachfrage gibt die Gruppe vor, eine freie, christliche Gemeinde zu sein. Das stimmt laut Christoph Grotepass von der Sekten-Info nicht: "Es ist eine Sondergemeinschaft mit messianischem Endzeitpastor. Der meint, er sei alleinig im Besitz der wahren Auslegung der Bibel". Ihren Ursprung hat die Gruppe in Korea, die Mitglieder kommen mittlerweile aus aller Welt.

WDR, 28. August 2019

Waldorfschulen mit Sektencharakter
Nicholas Williams, Jahrgang 1981, kennt die Binnensicht gut. Er war Waldorflehrer in Baden-Württemberg - und hat der Schule inzwischen den Rücken gekehrt. Ein Protokoll.

"Ich habe Waldorf aus verschiedenen Perspektiven kennen gelernt. Meine Mutter war Lehrerin an einer Waldorfschule; ich habe dort mein Abitur gemacht und später selbst an drei Waldorfschulen unterrichtet. Was ich da zuletzt erlebt habe, hat mich verstört: Es geht in den Waldorfschulen viel esoterischer zu, als ich mir das früher je gedacht hätte. Waldorf hat den Charakter einer Sekte, und mittlerweile bin ich überzeugt: Waldorf richtet Tag für Tag Schaden an. An fast jeder Schule findet sich ein harter Kern an Leuten, die Rudolf Steiner wie einen Religionsgründer behandeln."
Süddeutsche Zeitung, 7. September 2019
Immer mehr Sekten

Es gibt immer mehr Sekten in Deutschland, vor allem kleine Gruppierungen. Der Markt ist voll, das Angebot geradezu unüberschaubar. Warum interessieren sich so viele Menschen diese Sinnangebote? Die Anzahl der Gruppierungen insgesamt ist enorm in die Höhe gegangen, sagt Michael Utsch. Er leitet bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) das Referat Psychologische Aspekte neuer Religiosität, Religion und Gesundheit. Die Mitgliederzahlen bekannter Gruppen wie Mormonen, Scientology oder Jehovas Zeugen stagnierten jedoch tendenziell.

Deutschlandfunk, 8. September 2019

Bürgerinitiative gegen Scientology

Antoine Mokrane ist Sprecher einer lokalen Bürgerinitiative, die  mobil macht gegen die geplante „Ideale Org“.  – Ideale Organisation, so heißen die  üppig ausgestatteten Vorzeige-Center im Scientology-Jargon, die bereits in mehreren Großstädten Europas und rund um den Globus eröffnet wurden. In den USA gilt Scientology als Religionsgemeinschaft, in Frankreich als Sekte.  Die Organisation werde heute wieder unterschätzt, beschwert sich der engagierte Mittdreißiger aus Saint-Denis.

Deutschlandfunk, 23. September 2019

Keinen Kontakt mehr zur Familie
Madeline ist im Glauben der Zeugen Jehovas aufgewachsen. Weihnachten, Geburtstage oder Ostern wurden in ihrer Kindheit nie gefeiert, erzählt die 30-Jährige. Aber sie hatte immer schon Kontakt zu "Weltmenschen", wie Angehörige der Religionsgemeinschaft Menschen außerhalb der Organisation nennen. Dadurch habe sie "das richtige Leben" kennengelernt, wie sie weiter berichtet.
Vor zehn Jahren ließ sich Madeline von den Zeugen Jehovas ausschließen – eine Zeit, die für die junge Frau nicht leicht war, denn seitdem habe sie keinen Kontakt mehr zu ihrer leiblichen Familie. Der Schritt ist Madeline schwer gefallen: Sie habe ihre Schwestern und Eltern dadurch sehr verletzt. Die Trennung zu ihrer Familie hat eine tiefe Wunde hinterlassen: "Ich habe mich alleine gefühlt."

The Voice of Germany, 23. September 2019

Sektenähnliche Gruppen florieren

Statt Sekten mit streng hierarchischen Strukturen wie bei den
Sonnentemplern florierten heute viele teils sehr kleine Gruppierungen "mit sektenähnlichen Elementen", sagt Schmid.

"Solche Elemente sind etwa problematische Erziehungstipps wie körperliche Züchtigungen oder die Ablehnung herkömmlicher Medizin oder das Gebot, nur untereinander zu heiraten." Dazu zählten auch eine Abschottung nach außen und die Ächtung von Abtrünnigen.

Auch in Deutschland sind Heilsversprechen und Hoffnung auf ein besseres oder ewiges Leben "in".

web, 4. Oktober 2019

Kein Teil der Welt

„Kein Teil der Welt“ ist nach „Tigermilch“ der zweite Roman von Stefanie de Velasco. Die Autorin ist selbst bei den Zeugen Jehovas aufgewachsen. Im Interview erzählt sie, wie die Angst vor dem Ende der Welt auf Kinder wirkt, warum sie die Zeugen Jehovas manchmal auch bewundert und wieso in ihrem Buch so viele Werbeslogans vorkommen.

Jetzt, 8. Oktober 2019

Sekten-Prozess nach über 30 Jahren

Jan H. war vier Jahre alt, als er vor mehr als 30 Jahren starb. Jahrzehntelang blieben die genauen Umstände seines Todes ungeklärt. Er lebte mit seinen Eltern in Hanau, in einer sektenähnlichen Gruppe von Menschen, die der Anführerin Sylvia D. huldigten. Diese glaubte, Jan sei von dunklen Mächten besessen. Er starb, unterernährt und abgemagert, offenbar in einen Leinensack verschnürt.


Eine Obduktion gab es nicht, es hieß, er sei an seinem Erbrochenen erstickt. Doch an dieser Version gibt es erhebliche Zweifel – und D. rückte in den Fokus der Ermittlungen. Aufgrund von Hinweisen von Aussteigern und akribischer FR-Recherchen wurde der Fall 2015 neu aufgerollt. Nun wird Jan H.s Tod vor Gericht verhandelt; am 22. Oktober beginnt vor dem Landgericht Hanau das Hauptverfahren gegen die 72-jährige Sylvia D. Neben Jan H. lebten in der Sekte ihre leiblichen Kinder sowie Adoptiv- und Pflegekinder.

Frankfurter Rundschau, 14. Oktober 2019

Wenn man unter Zeugen Jehovas aufwächst
Wie ist es, unter Zeugen Jehovas aufzuwachsen? Stefanie de Velasco hat die ersten 15 Jahre ihres Lebens in dieser Glaubensgemeinschaft verbracht. „Kein Teil der Welt“ erzählt, was Kinder erleben, die in einem Korsett von rigiden Verboten aufwachsen.
Der Roman „Kein Teil der Welt“ erzählt von einer Kindheit und Jugend bei den Zeugen Jehovas kurz nach dem Fall der Mauer. Eine Welt, die mitten unter uns ist und doch zugleich ferner und fremder kaum sein könnte. Ein Roman wohl mehr über Ideologie als über Glauben – und darüber, was es mit Kindern macht, wenn ihre Eltern sie in einem Korsett von Denk- und Verhaltensweisen aufwachsen lassen wollen.
Deutschlandfunk Kultur, 19. Oktober 2019

Immer mehr gefährliche Gruppen
Der Bildungsausschuss des Landtags hat vor einer Zunahme und einer Radikalisierung von Sekten und sogenannten Psychogruppen gewarnt. „Die Zahl der Einzelpersonen und Organisationen mit religiös-weltanschaulichen Angeboten, von denen Gefahren auf die persönliche Freiheit, auf die Gesundheit oder auf die freiheitlich demokratische Grundordnung ausgehen können, ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen“, betonte die Ausschussvorsitzende Brigitte Lösch (Grüne). Der Ausschuss befasste sich am Donnerstag mit dem Bericht einer Arbeitsgruppe zu dem Thema.
Lösch zufolge wird heute eher von gefährlichen religiös-weltanschaulichen Angeboten statt von Sekten gesprochen. Die Akteure radikalisierten sich zunehmend und versuchten, ihre Strukturen durch wechselnde Namen und mit scheinbar unverfänglichen Angeboten zu verschleiern. Außerdem nutzten sie Internet und soziale Netzwerke mehr und mehr, um sich zu vernetzen und für sich zu werben.

Besonders Scientology habe zudem in jüngster Zeit Kinder in den Fokus genommen, deren Eltern sich eine Steigerung der Schulleistung, eine positive Persönlichkeitsentwicklung und somit bessere Karrierechancen für die Zukunft versprechen.
Südwestpresse, 24. Oktober 2019

Post von Anwälten

Dass er auch mal Post von einem Anwalt bekommt, gehört für Matthias Neff zu seinem Beruf. Der Sektenbeauftragte des Bistums Trier trägt Informationen über Sekten zusammen – und veröffentlicht sie auch. So mancher problematischen Gruppe passt das nicht – aber bisher hat Neff die juristischen Auseinandersetzungen immer gewonnen. Im Interview spricht er über seine Aufgabe und den fließenden Übergang zwischen Frömmigkeit und sektiererischen Tendenzen.

Katholisch, 31. Oktober 2019

Energiezeiten für Sex

Vor dem Landgericht in Hanau wurde heute weiter im Fall des ums Leben gekommenen Jungen Jan H. (4) verhandelt. Sylvia D., mutmaßliche Führerin der Sekte, in der die Mutter von Jan H. Mitglied war, wird vorgeworfen, für den Tod des Vierjährigen im Jahr 1988 verantwortlich zu sein. Zur Sprache kamen dabei vor Gericht heute die sogenannten "Energiezeiten", die es laut internen Unterlagen in der Gruppe gab.

Dabei soll es sich um sexuelle Handlungen zwischen Frauen in der Gruppe und Sylvia D.'s Ehemann Walter D. handeln. Zu dem Sachverhalt wurde erneut Claudia H. befragt, die Mutter des toten Jungen.
Wetterauer Zeitung, 5. November 2019

Limbach-Oberfrohna: Arbeitet evangelischer Schulverein mit Sekte zusammen?

 Iris Raether-Lordieck (SPD) machte darauf aufmerksam, dass am 10. November eine Freikirche namens C-3-Church einen Gottesdienst im Artiseda-Gebäude abhalte. Diese "will junge Leute missionieren", sagte Raether-Lordieck. Falls es eine Kooperation mit dem Evangelischen Schulverein als Träger des Schulzentrums gebe, "halte ich das für unerträglich", erklärte die Stadträtin. Sie habe sich an den Sektenbeauftragten der Evangelischen Landeskirche gewandt. Raether-Lordieck forderte die Stadt auf, diese Angelegenheit "besser zu kontrollieren".

Albert Klepper (Grüne) ging noch einen Schritt weiter und bezeichnete die C-3-Church als Sekte. Nach seinen Informationen zeichne sich die Freikirche durch ein fundamentalistisches Bibelverständnis aus und sei durch antisemitische Äußerungen aufgefallen. Daher könne er der Verwendung von Steuergeld für das Artiseda-Projekt nicht zustimmen, sagte Klepper.
Freie Presse, 5. November 2019


Vergewaltigungen statt Paradies
Die 49-jährige Francis etwa erzählt davon, wie sie aus der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas ausstieg. Mit Bilder vom Paradies hatten Missionare Francis als 19-Jährige überzeugt, sich ihnen anzuschließen.

Nicht nur gedanklich, sondern auch körperlich zugewandt fragte Domian nach und erfuhr, dass Francis als junge Frau nach einer Kindheit im Heim ein Zuhause gesucht hatte. Sie fand einen Ehemann, ebenfalls Zeuge Jehovas, der sie misshandelte – psychisch, physisch und sexuell. Wie oft sie von ihrem Mann vergewaltigt worden sein, will Domian wissen; darüber will Francis offenbar nicht reden – verständlich.

Geschenk des Vaters stört

„Als Lidia einige Wochen später zum ersten Mal in die Versammlung kam, trug Sulamith Spitzensöckchen und Ballerinas. Ihre langen blonden Haare hatte sie zu zwei Zöpfen geflochten und um den Hals trug sie eine silberne Kette mit einem Mariensymbol. Mama umarmte Lidia und hockte sich wieder neben Sulamith, doch diesmal gab es keine Süßigkeiten. ,Von Jehova machen wir uns kein Bildnis‘, sagte Mama und zeigte auf Sulamiths Kette. ,Das ist die Mutter Gottes‘, sagte Sulamith. ,Jehova hat keine Mutter‘, sagte Mama. ,Jeder hat eine Mutter‘, sagte Sulamith. ,Jehova nicht‘, sagte Mama, ,er ist der Schöpfer der Welt. Er hat uns zehn Gebote gegeben, und eins davon verbietet uns, so etwas zu tragen.‘ Sulamith schaute Mama mit großen Augen an. ,Aber die ist von meinem Vati‘, flüsterte sie. ,Es ist egal, von wem sie ist‘, sagte Mama, ,Jehova will es nicht.‘“

Deutschlandfunk, 13. November 2019

Musical über eine Sekte

Mit sieben Jahren realisiert Luisa Bogenberger, dass etwas mit ihrer Mutter nicht stimmt: Sie ist Anhängerin der Kirschblütengemeinschaft, einer Schweizer Sekte, die mit Gruppensex experimentiert. Ihre Erfahrungen verarbeitet Luisa in einem Musical.

"Ich bin aufgewachsen mit dem Gedanken, dass man sich selbst zurückstellt, hinter die Gemeinschaft. Ich habe die grundsätzliche Einstellung gelernt, dass man nichts für sich behält. Auch sich selbst nicht", erzählt Luisa Bogenberger. Ihre Mutter zog sie zwar nicht in die Sekte mit hinein, doch die Überzeugungen und Glaubenssätze der Mutter beschäftigten sie.

Bayerischer Rundfunk, 19. November 2019

Durchsuchung bei "Erbengemeinschaft Jakobs"

Früher sollen sich in dem Fitnessstudio einmal bis zu zwölf Personen aufgehalten haben, am Dienstagmorgen hatte man offenbar nur etwa ein Drittel davon angetroffen. Wie das Westfalen-Blatt berichtet, handele es sich dabei um Mitglieder der "Erbengemeinschaft Jakobs", einer religiösen Sekte. Laut der Neuen Westfälischen habe deshalb auch der Staatsschutz ermittelt. 

Westfälischer Anzeiger, 3. Dezember 2019

Scientology bietet kostenlosen Stresstest an

Für Aufsehen sorgte jetzt ein Stand in der Neusser Innenstadt – und das nicht wegen seiner knallig-roten Farbe. „Kostenlose Stresstests“ wurden unter dem kleinen Pavillon angeboten. Das wirkt allerdings nur auf den ersten Blick harmlos. Denn hinter dem „kostenlosen Stresstest“ verbirgt sich Scientology. Eine Vereinigung, die bereits seit dem Jahr 1997 in mehreren Bundesländern aufgrund eines Beschlusses der Innenministerkonferenz durch den Verfassungsschutz beobachtet wird. „Aus einer Vielzahl von Informationsquellen ergibt sich, dass die Scientology-Organisation wesentliche Grund- und Menschenrechte wie die Menschenwürde, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Gleichbehandlung außer Kraft setzen will. Sie strebt darüber hinaus eine Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen an“, heißt es vom Bundesamt für Verfassungsschutz.

Westdeutsche Zeitung, 11. Dezember 2019

Sekte oder nicht?-Eine Frage der Macht

Weil wir als beschränkte Wesen stets auch Gläubige sind, geht es mir nicht in den Kopf, dass Gläubige andere Gläubige als Sektierer oder als Ungläubige bezeichnen. In Sachen Religion ist die Unterscheidung in Weltreligionen und Sekten lediglich eine Frage der Macht. Die katholische Kirche hat als Sekte angefangen, die sich im Lauf der Zeit zu einer Staatsreligion aufgeschwungen und sich die inquisitorischen Mittel zugelegt hat, abweichende Glaubensauffassungen als sektiererisch abzustrafen. Dabei waren die Sektierer in aller Regel einfach die besseren Christen – zum Beispiel die Katharer.

Sankt Galler Tagblatt, 14. Dezember 2019