Als Zeichen für die Freiheit
Christoph Schwennicke, Chefredakteur des "Magazins für politische Kultur Cicero", will die Wende in der Flüchtlingspolitik. Wohin die führen soll, weiß er nicht. Wie sie aussehen soll, weiß er auch nicht. Die Titelseite der April-Ausgabe zieren Merkel und Gabriel als "Titanic"-Paar kurz vor dem Untergang des Luxusdampfers. Als seien die beiden jemals ein Liebespaar gewesen. Damit beginnt die Katastrophe, die sich durch das Heft zieht. Gestellte Fragen werden nicht beantwortet, es ist wie es ist, sagt angeblich die AfD. CDU-Jurist Jürgen Rüttgers will laut Artikel-Vorspann auf diese Partei zugehen, um sie zu stellen. Wie soll man sich denn das vorstellen?
Schon stellt man sich vor, seine Zeit nicht mit dieser "Cicero"-Ausgabe verschwendet zu haben, und schlägt die Seite 118 auf. Dort beginnt ein erfrischender Aufsatz des Autors Gideon Böss über eine "Reise zu den Verzückten und Frommen und ein Plädoyer für religiöse Selbstkritik". Er schreibt: "Warum ich diese Reise angetreten habe, hat mit Neugierde zu tun. Persönlich bin ich ziemlich neutral, was dieses Thema angeht."
Das scheint zu stimmen. Erstaunt stellt Gideon Böss fest: "Kaum zu glauben, dass Anhänger der charismatischen Bewegung in derselben Bibel lesen wie Mitglieder der evangelischen Kirche", denn für Charismatiker sei der Zweifel ein Zeichen für mangelnden Glauben, für Protestanten dagegen gehöre er dazu. Ein Charismatiker könne die Menschen nicht einfach so leben lassen, wie sie wollen, das habe er mit einem muslimischen Hardliner gemein. Der Autor stellt fest: "Es gibt tatsächlich ein allgemeines Kriterium, das den allgemeinen Charakter einer Glaubensgemeinschaft definiert: den Zweifel. Der Zweifel entscheidet über alles. In kritikfähigen Gemeinschaften wird er gefördert...Wenn umgekehrt der Zweifel als Bedrohung angesehen wird, ist die Freiheit des Individuums begrenzt, weil die Stimme des Einzelnen nicht zählt."
Diese Unterscheidung gelte auch für Atheisten. Auch unter ihnen gebe es missionarische Eiferer, die Zweifel nicht zulassen. Als Gründungsvorstandsmitglied des bundesweiten Vereins "Artikel 4-Initiative für Glaubensfreiheit" kann ich das nur bestätigen. Ehemalige Mitglieder fundamentalistischer Gruppen haben die Bibel weiter wörtlich genommen, hackten auf Widersprüchen und historischen Fehlern so wütend herum wie sie diese vorher geleugnet hatten. Ihr Ziel war nicht Aufklärung, sondern die Verbreitung von Hass. Wer aber etwas hasst, hat es nicht verarbeitet...Der bleibt Gefangener der Gruppe, die er nur körperlich verlassen hat.
Ein Gefangener scheint auch "Cicero"-Chefredakteur Christoph Schwennicke zu sein. Nach den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt ist er gefangen gewesen von dem Wahn, er müsse in jeder Talkshow als Rufer in der Merkel-Wüste auftreten. Mit einer einzigen Botschaft: "So geht es nicht weiter."
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